Tag der Seltenen Erkrankungen: Ministerpräsident zu Besuch





Dass der 15. Aktionstag der Seltenen Erkrankungen (TSE) am Städtischen Klinikum Dessau am Wochenende der Bundestagswahl stattfinden würde, konnte wohl keiner der Organisatoren bei der Planung im Spätsommer 2024 vorausahnen. Die daraus resultierende Befürchtung, dass es am 22. Februar weniger Interessierte geben würde, bewahrheitete sich zum Glück nicht. Ganz im Gegenteil. Während die Anzahl der teilnehmenden Selbsthilfegruppen von 30 im Jahr 2024 auf 33 stieg, erlebte der Aktionstag eine unerwartet hohe Dichte an Vertretern des bundesdeutschen politischen Lebens. Vertreter und Vertreterinnen von CDU, SPD, Grünen und FDP aus der Bundes- und Landespolitik waren vor Ort. Besonders erfreut waren alle Teilnehmer über den Besuch des Schirmherrn des Aktionstages der Seltenen Erkrankungen Dr. Reiner Haseloff, Ministerpräsident des Landes Sachsen-Anhalt. Er wurde vom Ärztlichen Direktor Dr. med. Joachim Zagrondick, dem Verwaltungsdirektor Dr. med. André Dyrna, Univ.-Prof. Dr. med. Prof. honoraire Dr. h.c. Christos C. Zouboulis, Chefarzt der Hochschulklinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie, Immunologisches Zentrum, und Annette Byhahn von der Neurofibromatose-Regionalgruppe Sachsen-Anhalt und Mitinitiatorin des Aktionstages, herzlich begrüßt.
Der Ministerpräsident traf vor Ort auf etwa 200 Interessierte. In seiner Ansprache lobte er die Zusammenarbeit im Bereich der Seltenen Erkrankungen und ermahnte gleichzeitig die Pharmaindustrie dazu, auch Medikamente für die Patientengruppe zu entwickeln, die nicht massentauglich sind und keinen hohen Profit versprechen – den Betroffenen aber eine Lebens- und Überlebensperspektive geben würden. Er bedauerte, dass die Gesundheitsreform, bekannt als Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG), nicht unbedingt im Sinne der Bundesländer durch die parlamentarischen Instanzen ging. Er hätte sich für Sachsen-Anhalt noch Verbesserungen gewünscht. Zum Schluss seines Grußwortes appellierte er an alle Anwesenden „Gehen Sie morgen wählen!“. Dann nahm er sich die Zeit und besuchte jeden Stand der Selbsthilfegruppen im Foyer und der Cafeteria, um aus erster Hand zu hören, welche Herausforderungen bestehen und welche Entwicklung die Arbeit der Selbsthilfegruppen seit seinem letzten Besuch genommen hat.
Nach wie vor gelten mehr als 5.000 der rund 30.000 bekannten Krankheiten als selten, und für die davon betroffenen Patienten gestaltet sich die Suche nach der richtigen Diagnose und Therapie meist beschwerlich.
Als seltene Erkrankung gelten dabei nur solche Erkrankungen, die nicht häufiger als 5-mal pro 10.000 Einwohner vorkommen. Zur Einordnung: Im Vergleich dazu leiden etwa fünf Prozent der Bevölkerung an Diabetes, was diese Erkrankung mindestens um den Faktor 100 häufiger macht. Trotz dieser „Seltenheit“ sind die seltenen Krankheiten insgesamt nicht wirklich selten und jeder von uns kennt einen Menschen, der oder die an einer solchen Erkrankung leidet.
Der Aktionstag am 22. Februar stand unter dem Motto „Gemeinsam weiter stark“. „Wir alle sind froh, dass wir wieder zusammenfinden konnten. Die Belange der Seltenen verbleiben weiterhin im Hintergrund der bundesdeutschen Krankenhaus- und Gesundheitspolitik. Nun konnten wir uns vor Ort bei einigen Entscheidungsträgern Gehör verschaffen“, so Annette Byhahn.
Der Tag der Seltenen Erkrankungen am Klinikum Dessau ist erneut ein Leuchtturm für die Vermittlung der Anliegen der Betroffenen und die Wissensweitergabe. Die im Rahmen des Aktionstages präsentierten Vorträge zielten genau darauf ab und blickten sogar über den thematischen Tellerrand hinaus.
Im Vortrag Prof. Dr. med. Gerhard Behre, Chefarzt der Klinik für Innere Medizin I und Leiter des Onkologischen Zentrums mit dem Thema „Lymphome: EBV-assoziiertes mukokutanes Ulkus“ ging es nicht nur um die Erkrankung und deren Behandlung, sondern auch um den Weg der Diagnose. Auch hier zeigte Prof. Behre die beschwerliche Suche nach der richtigen Diagnose und Therapie auf. Dass der betroffene Patient nicht nur in einem Krankhaus vorstellig werden musste, im Endeffekt aber die interdisziplinäre medizinische Zusammenarbeit eine Lösung gebracht hatte.
Im zweiten Vortrag, gehalten von Priv.-Doz. Dr. med. Dr. med. habil. Georgios Nikolakis, Oberarzt in der Hochschulklinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie / Immunologisches Zentrum, ging es um die Behandlung der Acne inversa, einer chronischen rezidivierenden Erkrankung des Terminalhaarfollikels, als Beitrag zur Entwicklung einer europäischen Gendatenbank. „Die Acne inversa hat in den letzten Jahren im Bereich der Hautkrankheiten an Bedeutung gewonnen, da sie erheblich die Lebensqualität der Betroffenen beeinflusst. Viele schämen sich. Ihnen ist es teilweise sogar unangenehm, den Arzt zu konsultieren“, so der Oberarzt. Laut Dr. Nikolakis gilt Dessau-Roßlau als ein Zentrum für diese Erkrankung, denn das Europäische Referenznetzwerk für Hauterkrankungen (ERN) wird aus der Doppelstadt koordiniert.
Im letzten Vortrag ging es bei Dr. rer. nat. Sabine Konradi, Leiterin der Selbsthilfegruppe Post-Vac Post-Covid und ME/CFS Dessau, um Myalgische Enzephalomyelitis/das Chronische Fatigue-Syndrom & Post-Covid. Auch wenn Covid medial kaum noch in Erscheinung tritt, ist die Erkrankung nach wie vor präsent. Zudem leidet laut Bundesgesundheitsministerium noch immer eine sechsstellige Zahl an Betroffenen in Deutschland an Long- oder Post-Covid. Dr. Konradi ging in ihrem Vortrag auf die Krankheitsbilder, die Diagnosen und Therapien ein und zeichnete ein ausführliches Bild der Arbeit von Post-Covid-Selbsthilfegruppen. Prof. Zouboulis konstatierte im Anschluss, dass die Selbsthilfegruppen der Seltenen Erkrankungen und die von Post-Covid viel voneinander lernen können, auch in der Wissensvermittlung gegenüber Ärzten.
Den Aufruf von Dr. Haselhoff „Gehen Sie morgen wählen!“ aufnehmend, wünschte sich Prof. Zouboulis eine angemessene finanzielle Ausstattung der Kliniken, eine bezahlbare medizinische Versorgung für die Patienten, bessere Bildungsmöglichkeiten und mehr innere Sicherheit.
Nach den Vorträgen blieb dann noch Zeit, dass die Gruppen untereinander ins Gespräch kamen. Man hatte sich schließlich ein Jahr lang nicht gesehen und nur über Mail und Telefon miteinander kommuniziert.
Für Oktober/November planen Annette Byhahn und Prof. Zouboulis den alljährlichen „Runden Tisch“. Zum Tag der Seltenen Erkrankungen im Jahr 2026 wird man sich Ende Februar wieder in Dessau treffen.