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Spezialistenmangel: „Runder Tisch“ auf Nachwuchssuche

Für welche „Seltenen Erkrankungen“ gibt es in Deutschland überhaupt medizinische Spezialisten? Die Beantwortung mag vielleicht simpel sein, weißt aber bei genauerer Betrachtung auf ein immer dringender werdendes Problem hin. Denn Fakt ist: Mediziner, die sich in diesem umfangreichen Spezialgebiet auskennen, sind nach wie vor „Einzelfälle auf weiter Flur“. Und alle anderen Ärzte erkennen eine seltene Erkrankung gar nicht erst, auch wenn ein Betroffener oder Betroffene vor ihnen steht.

Deshalb stand der „Runde Tisches der Seltenen Erkrankungen“ dieses Jahr unter dem Thema „Nachwuchsgewinnung und -bindung“.

Oft fühlen sich Betroffene wie „Waisenkinder“ der Medizin. Rund vier Millionen Menschen erleben dies in Deutschland so. Bis zur richtigen Diagnosestellung vergehen in der Regel mehrere Jahre, weil sich nur wenige Ärzte mit den oftmals unerforschten Krankheitsbildern auskennen. Von den insgesamt rund 30.000 bekannten Krankheiten gelten 5.000 bis 8.000 als Seltenheiten. Seit nunmehr sieben Jahren wird der Runde Tisch in Vorbereitung auf den „Tag der Seltenen Erkrankungen“ am Städtischen Klinikum Dessau abgehalten. Zum zweiten Mal fand er nun – coronabedingt – in digitaler Form statt.

Dr. med. Joachim Zagrodnick, Ärztlicher Direktor des Städtischen Klinikums Dessau, und  Prof. Dr. med. Prof. honoraire Dr. h. c. Christos C. Zouboulis, Chefarzt der Hochschulklinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie, Immunologisches Zentrum, sowie Annette Byhahn, Koordinatorin des Tages der Seltenen Erkrankungen und Leiterin der Neurofibromatose Regionalgruppe Sachsen-Anhalt, konnten Vertreter von Selbsthilfegruppen, der Ärztekammer, der Kassenärztlicher Vereinigung, der Krankenhausgesellschaft, von Krankenkassen, vom Mitteldeutschen Kompetenznetz Seltener Erkrankungen (MKSE), der Medizinischen Hochschule Brandenburg, der Universitätsklinik Brandenburg/Havel sowie Vertreter aus der Landes -und Bundespolitik in der Videokonferenz begrüßen.

Annette Byhahn brachte die Bedenken vieler Betroffener auf den Punkt: „Wir haben in den vergangenen Jahren, speziell in Sachsen-Anhalt, viel erreicht. Dennoch werden unsere Mediziner nicht jünger. Nachwuchs, der sich ernsthaft mit der Diagnostik und Therapie Seltener Erkrankungen beschäftigt, sehen wir leider nicht.“

Erich Irlstorfer (CSU), Mitglied des Gesundheitsausschusses des Bundestages, konnte die Lage aus bayerischer Sicht und auch aus Sicht der Bundesebene einordnen. Es sei an der Zeit, auch überparteilich, in dem großen Bereich der Seltenen Erkrankungen mehr zu tun. Dies reiche von der Ausbildung der Ärzte bis hin zu den Pharmakonzernen, die sich aufgrund der geringen Skalierung von Medikamenten zu wenig und selten in diesem Randbereich der medizinischen Versorgung engagieren.

Prof. Zouboulis wies auf die unleugbaren Fortschritte bei der Behandlung von Seltenen Erkrankungen hin. Allein die Forschung hat in den vergangenen Jahren enorm zugelegt und auch bahnbrechende Erkenntnisse gewinnen können. Diese Grundlagen böten eine Basis den medizinischen Nachwuchs, u.a. über die Forschung, für das Thema der Seltenen zu begeistern.

Dr. med. Florian Hentschel, Oberarzt der Klinik für Innere Medizin II am Universitätsklinikum Brandenburg/Havel gestand ein, dass Sachsen-Anhalt mit dem MKSE sehr viel weiter sei als Brandenburg. Das Thema der Seltenen Erkrankungen sei bislang eher stiefmütterlich behandelt worden. Als Dozent der Medizinischen Hochschule Brandenburg und als Arzt im Universitätsklinikum sieht er die Verbindung von Theorie und Praxis als aussichtsreiche Form der Nachwuchsgewinnung an. Dass hierzu auch an bestimmten Stellen im Lehrplan Hand angelegt werden müsse, sei Aufgabe der Politik. Zudem würde er eine landesübergreifende Zusammenarbeit, etwa im Bereich der mitteldeutschen Länder einschließlich Brandenburg, im Bereich der Seltenen Erkrankungen befürworten.

In der anschließenden Diskussionsrunde wurde von den Betroffenen die Dringlichkeit der Nachwuchsgewinnung angesprochen. Der Alltag der Selbsthilfegruppe bestehe auch darin, für Betroffene über Landesgrenzen hinweg, den richtigen Arzt zu finden.

Auch wenn es derzeit noch viel Luft nach oben gibt, waren die Teilnehmer zufrieden, dass es das Thema erstmals auf der Agenda geschafft hat. Es wird als fester Bestandteil der zukünftigen Veranstaltungen, etwa beim Tag der Seltenen Erkrankungen, übernommen. Hoffnungen machen den Betroffenen die ersten zarten Bande zwischen Landes- und Bundespolitik bei diesem Thema.

Am 4. März 2023 soll anlässlich des Tages der Seltenen Erkrankungen erneut auf diese und weitere Themen eingegangen werden. Für den Sommer 2023 hofft Annette Byhahn auf eine erste Präsenzveranstaltung nach mehrjähriger pandemiebedingter Unterbrechung im Städtischen Klinikum. Es wäre die 11. Veranstaltung dieser Art und das über die Region hinaus einzige Forum zum Austausch von Experten und Patienten.

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