Quantensprung für die Genauigkeit von Bestrahlungen
Der Erfolg einer Strahlentherapie hängt maßgeblich an der Genauigkeit, mit der die ionisierenden Strahlen die Krebszellen treffen. Elastische Verformungen gibt es aber immer. Allein der Tragarm eines typischen Linearbeschleunigers hat ein Eigengewicht von sieben Tonnen. Klar, dass die Schwerkraft den Tragarm ständig elastisch verformt, und somit das Ergebnis der Bestrahlung verfälscht. Genau solche Fehler zu minimieren, diesem Ziel hat sich Dr.-Ing. Markus Wösle M. Sc., Medizinphysik-Experte in der Klinik für Strahlentherapie, in den vergangenen Jahren verschrieben.
Mit Erfolg, denn die Ergebnisse seiner Arbeiten mündeten in zwei internationale Patentanmeldungen. „Patent 1“, so der studierte Maschinenbauingenieur und Medizinphysiker, „beschreibt ein Mess- und Analyseverfahren, das innerhalb weniger Minuten Fehlerquellen bei der Bestrahlung nicht nur orten, sondern auch minimieren kann.“ Und zwar mit Hilfe des Dosisdetektors, der bereits serienmäßig in jedem modernen Strahlentherapiegerät verbaut ist. „Außer einem handelsüblichen Messkörper und dem patentierten Algorithmus sind hier keine weiteren Investitionen erforderlich.“ Mit Hilfe dieser Messanordnung ist es nun möglich, die Genauigkeit jeder Bestrahlung um bis zu einem Millimeter zu verbessern. Bei Präzisionsbestrahlungen, wo es um 1/10 mm geht, ein enormer Fortschritt. Zum Vergleich: Die konstruktive Verbesserung der Tragarmsteifigkeit zur Fehlerreduktion um einen Millimeter kostet bei den Herstellern rund 250.000 Euro. Am Klinikum wird dieses Verfahren übrigens schon seit 2014 erfolgreich eingesetzt. „Mittlerweile genügt es, den Linearbeschleuniger wöchentlich zu überprüfen und halbjährlich neu zu kalibrieren, da einmal richtig eingestellt, sich die Geometrie nicht so schnell wieder ändert.“
Aber wie sagte schon der Doktorvater von Dr. Wösle: „Das Bessere ist der Feind des Guten.“ Daher ließ der Erfinder mit seinen hohen Genauigkeitsansprüchen nicht locker, um auch die mit dieser Methode verbleibenden Restfehler weiter zu reduzieren.
Grundsätzlich gibt es zwei Möglichkeiten, die Bestrahlungsgeometrie zu optimieren: Entweder man bringt Zentralstrahl in das Zentrum des Krankheitsherdes, oder aber man verschiebt den zu behandelnden Tumor über die Positionierung des Patientenlagerungstisches in den Zentralstrahl. Mit den in der Patentschrift 2 beschriebenen neuen Freiheitsgraden und Regelkreisen lassen sich nahezu alle Strahlentherapiegeräte – unabhängig vom Baujahr und Typ – auf ein neues Präzisionsniveau bringen. Der Restfehler reduziert sich damit auf weniger als 60 Mikrometer. Im unkorrigierten Fall würde die Abweichung zwischen 1 und 3 mm betragen. Ein Unterschied, der in der Bestrahlung von Krebspatienten essentiell sein kann, da viel weniger gesundes Gewebe zerstört wird. Mit einer Fehlerreduktion um 1 mm könnte man bei kleinen Tumoren das zu behandelnde Volumen um 10 bis 64 Prozent verkleinern. Bei 2 mm Fehlerreduktion ließen sich sogar zwischen 20 und 83 Prozent Volumenverkleinerung verwirklichen. Der Medizinphysiker ist sich jedenfalls sicher, „etwas Besseres gibt es derzeit nicht“.
Naheliegend wäre es daher, dass die Hersteller die neuen Freiheitsgrade und Regelkreise in ihre Strahlentherapiegeräte integrieren. Dazu müssten sie zunächst einmal das Patent 2 erwerben. Bei geschätzten bis zu 400 Strahlentherapie-Institutionen allein in Deutschland mit jeweils einem bis sechs Geräten, die alle zehn bis 15 Jahre ausgetauscht werden, ergäbe sich ein stattlicher Markt. Die Einnahmen würden übrigens an das Klinikum als Patentinhaber gehen.