Erinnerungen an eine Zeit ohne Erinnerung
Werden Patienten auf der Intensivstation behandelt, müssen sie oft in einen künstlichen Schlaf versetzt werden. Wacht der Patient nach Tagen oder gar Wochen wieder auf, klagen viele über Stress und Albträume. Eine simple Idee, die jetzt am Klinikum umgesetzt wurde, soll helfen: Das Intensivtagebuch.
Schwester Katrin Fiedler, Stationsleiterin auf der Intensivstation, hatte schon lange die Idee dazu im Kopf, jetzt ist sie umgesetzt: „Wir wollen mit Tagebucheinträgen erreichen, dass der Patient im Nachhinein die Situation während seiner Bewusstlosigkeit nachvollziehen und verstehen kann.“ Im Tagebuch tragen Pfleger ein, welche Fortschritte der Patient macht, welche Untersuchungen nötig sind. Angehörige können über das Schreiben eine Verbindung zu dem Patienten halten, der da hilflos – über diverse Schläuche versorgt – vor ihnen liegt. Sie halten fest, wie das Leben draußen weiter geht. „Später“, so Fiedler, die seit 30 Jahren auf der Intensivstation tätig ist, „sollen die Tagebücher den Patienten ihre verlorene Zeit zurückgeben, die Lücke schließen, die in ihr Leben gerissen wurde.“
Ganz bewusst beschreiben die Pflegenden auch die Geräusche im Krankenzimmer. Denn all die summenden und piependen Apparate können für den Patienten im Dämmerzustand durchaus bedrohlich wirken und werden mitunter zu wiederkehrenden Motiven in Albträumen. Das Tagebuch liefert im Nachhinein plausible Erklärungen, ist ein Ansatzpunkt für Gespräche mit der Familie in der schweren Zeit und gibt dem Patienten die Gewissheit: „Da waren Menschen, die auf mich aufgepasst und sich um mich gekümmert haben.“
Erste Untersuchungen ergaben, dass Patienten mit einem Intensivtagebuch im Nachhinein seltener unter Symptomen einer posttraumatischen Belastungsstörung litten als Patienten ohne Tagebuch. Auch war die Lebensqualität bei ihnen in den Monaten nach der Entlassung höher.
Bei einem Koma-Patienten auf Station 24 liegt ein Intensivtagebuch auf dem Nachttisch. Die Ehefrau nutzt intensiv die Gelegenheit, dort Einträge zu machen, genauso wie die Pflegerinnen und Pfleger, die in dem Heftchen Veränderungen und ihre Beobachtungen festhalten. Mittlerweile hat die Station 24 zehn Intensivtagebücher ausgegeben. Schwester Katrin zieht nach den ersten Wochen ein durchweg positives Fazit: „Das Intensivtagebuch ist in vielerlei Hinsicht ein Kommunikationsverstärker. Es verstärkt die Bindung der Pflegekräfte zu den Patienten und wird von den Angehörigen durchweg gern und gut angenommen. Viele sind einfach dankbar, nun ein Medium für ihre Gedanken zu haben.“
Im Bild: Die drei Initiatoren des Intensivtagebuches: Schwester Katrin, Schwester Susi und Schwester Melanie (v.li.).